Liebe Freunde, Verwandte und Interessenten,

mit einigen Bedenken beobachte ich die Situation in Europa, vor allem der Schweiz. Immer wieder werden neue höchst- Zahlen mit Corona- Infizierten gemeldet. Auch wenn ich nun seit rund 7 Jahren im Ausland lebe, so ist man halt doch mit der Heimat verbunden. Und ich frage mich immer wieder, ob es wohl allen Bekannten und Liebsten gut geht? Ich hoffe und bete, dass ihr alle von diesem Virus verschont geblieben seid und es euch in allen Belangen gut geht.

Seit dem letzten Newsletter hat Maisha Mema eine bewegte Zeit hinter sich. Schon viel habe ich von den Herausforderungen anderer Hilfswerke gehört... Diebstahl, Eifersucht usw... Und ich war immer stolz und froh, dass ich von keinen solchen Zwischenfällen berichten konnte. Doch leider hat uns dieses Thema auch eingeholt. Ich könnte in der Zwischenzeit fast einen Krimi verfassen. Angefangen hat die Geschichte schon vor einer Weile, wo wir vermuteten, dass mein Mitarbeiter der ersten Stunde und treue Seele Audax, manchmal ein bisschen Geld veruntreut. Aber vom vermuten bis zum handfeste Beweise haben, vergeht manchmal einiges an Zeit. Leider haben sich die Vermutungen gehäuft und gehäuft, bis wir dann ein paar Beweise beieinander hatten. Doch mit dem freistellen von Audax hörten die Probleme nicht auf, hatte er doch einige Komplizen im Team. Für mich ist es schier unglaublich, wie alles perfekt geplant war. Die Medikamentenüberwachung hatten wir fest im Griff. Doch dass wir bei der Abgabe von Spritzen eine Sicherheitslücke hatten, fanden wir erst heraus, als schon eine grosse Menge abhanden gekommen war. Und natürlich liess eine solche Freistellung die Würde eines Afrikanischen Mannes nicht kalt. So hatten wir über längere Zeit mit vielen Intrigen zu kämpfen. Vom Zerstören von Diplomen eines Mitarbeiter, über das abhandenkommen von wichtigen Dokumenten der Dispensary, Mobbing, Feuer legen und Einrichtung zerstören... Alles war dabei. Bis wir leider die Polizei einschalten mussten. Der Fall ging bis vors örtliche Gericht.

Im September war die ganze Situation so brenzlig, dass wir beschlossen, die Dispensary bis auf weiteres zu schliessen. Unser Wasserbohrloch war kaputt, und ohne Wasser konnten wir nicht funktionieren. Diejenigen, die uns in der Vergangenheit geholfen haben mit ihrem Lastwagen Wasser zur Dispensary zu transportieren, weigerten sich dies weiter zu tun. Es wurde gemunkelt, dass Audax zu Voodoo- Zauberer geht und einen Fluch über unserem Gelände ausgesprochen hat. Dies schürte in unserem Wasser- Transport- Mann so viel Angst, dass er sich nicht mehr aufs Gelände getraute. Auch den Mitarbeiter war es nicht mehr wohl. Nicht unbedingt wegen der Voodoo Praktiken, aber sie wurden auf offener Strasse von beschimpft und bedroht. Fas täglich erhielt ich Anrufe von unserem Oberarzt, der mir von einem weiteren Dramberichtete. Ich erinnere mich gut an den Sonntag, an dem ich keinen Anruf von ihm bekam. Für mich war das ein gutes Zeichen. Endlich wieder einmal ein Tag, an dem scheinbar alles ruhig verlief. Am Abend schrieb ich ihm eine Nachricht, dass ich sehr froh sei, nichts von ihm gehört zu haben, es scheine, die Situation beruhige sich ein wenig. Am nächsten Morgen erfuhr ich, warum mein Handy ruhig blieb... Dr. David wurde festgenommen und sass in einer Gefängniszelle. Ein Mitarbeiter und Audax hatten Klage gegen ihn erhoben, weil er es war, der die Polizei über die Missstände bei Maisha Mema informiert hat. Heute lachen wir darüber, wie ich fröhlich in Nairobi sass und dachte was für ein guter Tag dies war. Während er in Wirklichkeit in einer Zelle sass und keinen Zugriff zu seinem Handy hatte. Glücklicherweise war die Wächterin an diesem Tag eine ehemalige Patientin, die Erbarmen mit ihm hatte und ihm die Luxus- Zelle gab, wo er eine Matratze hatte. Als Decke gab sie ihm die Nationalflagge, die tagsüber vor dem Polizeigebäude weht. Jedes Mal, wenn wir an dieser Flagge vorüberfahren, können wir uns ein Lachen nicht verkneifen. Gottseidank wurde er schon am nächsten Tag freigelassen und der Fall war beendet.

 

Nach all diesen Geschehnissen, sah ich keine andere Wahl, als meinen Koffer ohne die Kinder zu packen und nach Tansania zu reisen. Irgendwie musste ich die Lage wieder unter Kontrolle bringen. Ich gab mir 2 Wochen Zeit dafür, länger wollte ich nicht von den Kindern weg sein. Die zwei Wochen waren intensiv, ich glaube das kann man sich vorstellen. Ich eilte von Polizeistation zu Anwälten und von Dorfchefs zu Wasserbohrloch- Spezialisten. Aber am Ende konnten wir den Fall bei der Polizei abschliessen, wir konnten rechtsgemäss drei Arbeiter entlassen und zwei weitere bis auf weiteres freistellen. Ebenso konnte ich den Herrn mit dem Lastwagen davon überzeugen, uns wieder Wasser zu bringen und das Team zurück an den Arbeitsplatz beordern. Ausserordentlich freute mich die grosse Unterstützung aus dem Dorf während dieser Zeit. Eines Nachmittags kamen aus dem Nachbardorf ca 10 junge Männer auf ihren Motorrädern angefahren. Sie boten an, für uns Wasser beim Bach holen zu gehen, damit wir die Dispensary wieder öffnen könnten. An anderen Tagen kamen Leute mit Geschenken vorbei und baten uns, wieder mit unserem Pflegedienst weiter zu machen.

Ebenso war ich berührt von dem Meeting, welches das Team hatte, bevor sie die Arbeit wieder aufnahmen... Viele weinten während sie die Geschehnisse der letzten Wochen schilderten und viele hatten an Gewicht verloren. Einerseits weil sie die Situation so bedrückte, anderseits weil sie für den Frieden in unserer kleinen Dispensary fasteten und beteten. Obwohl wir einige Mitarbeiter entlassen mussten, sah ich auf der anderen Seite viele Mitarbeiter, die ihr ganzes Herzblut in die Arbeit stecken und denen Maisha Mema ihr persönliches Projekt geworden ist. Ich möchte mir nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn wir die Dispensary für längere Zeit hätte schliessen müssen. 18 Arbeiter wären ohne Lohn dagestanden. Ihre Kinder hätten vielleicht aufgrund dessen nächstes Jahr nicht mehr zur Schule gehen können. All die Patienten, die unsere gute Pflege nicht mehr hätten erhalten können. Wie viele Kinder mehr wären wohl an Malaria gestorben? Wie viele schwer Kranke hätten zuhause unter starken Schmerzen eines aufbrechenden Tumors gelitten? Wie viele Verunfallte hätten ihre Wunden nicht fachgemäss versorgt bekommen? Ich, die Mitarbeiter und die Dorfgemeinschaft waren uns einig: Irgendwie kann man sich Maisha Mema eben schon nicht mehr wegdenken aus Kibanga.

Unterdessen teile ich euch mit Freuden mit, dass wieder Ruhe und Frieden eingekehrt sind. Die Patienten kommen nach wie vor in grosser Zahl und das Team ist zurück bei der alten Motivation. Diese Woche habe ich mit jedem einzelnen Mitarbeiter telefoniert und alle schienen mit der wiedergewonnenen normalen Alltagssituation zufrieden zu sein. Dafür bin ich von Herzen dankbar. Im Dezember werde ich nochmal eine Reise ohne Kinder unternehmen und mich mit eigenen Augen versichern, dass die Situation wieder unter Kontrolle ist.

Freudig ist auch die Nachricht, dass Jovinus, unser Assistenzarzt sein weiterführendes Medizinstudium erfolgreich begonnen hat. Wir haben so grosszügig Spenden für ihn erhalten, dass wir sein Studium fürs erste Jahr decken konnten. Fast wöchentlich erhalte ich von ihm Neuigkeiten aus dem Studienalltag. Auch sein Vater meldet sich immer wieder per Whats App bei mir, um sich zu bedanken. Diesen Dank möchte ich an alle weiterleiten, die ihm diesen Traum ermöglicht haben.

In diesem Jahr durften wir bis anhin über 2000 Patienten betreuen. Dies mag auf das Jahr verteilt nicht nach viel aussehen. Doch oft ist es der Schweregrad der Krankheit, die unsere Arbeit sehr aufwändig macht. Frauen, die zuhause eine Missgeburt hatten, nehmen mehrere Stunden der Pflegefachperson und des Arztes in Anspruch. Kinder mit hohem Fieber und Malaria und damit verbundener Blutarmut, würden in der Schweiz mit Sicherheit in die Intensivstation eingewiesen werden. Während hier mit den einfachsten Mittel ums überleben eines solch kleinen Menschen gekämpft wird. Immer öfter kommen auch psychiatrische Patienten in Akutsituationen zu uns. Dies erfordert viel Feingefühl und Zeit zur Aufklärung der Angehörigen. So sind wir mit auch nur 6-7 Patienten am Tag voll und ganz beschäftigt.

Oft wenn man in der Arbeit steckt, hat man das Gefühl irgendwie gar nichts erreicht zu haben. Besonders dieses Jahr hatte ich das Gefühl, die Unruhen im Team hätten so viel Zeit von mir abverlangt, dass Anderes liegen geblieben ist. Aber ich war froh, dass es doch anders aussah, als ich unsere Ziele im Management- Team evaluiert habe. Wir haben dieses Jahr erfolgreich die Wasserbohrung durchgeführt (auch wenn das Bohrloch in der Zwischenzeit schon wieder Probleme bereitet), wir haben die Zulassung für Impfungen erhalten und haben diesen Monat mit Kinderimpfungen begonnen. Wir haben die Krankenkassenanerkennung erhalten und uns einige neue medizinische Instrumente anschaffen können. Wir konnten an unseren Pflegestandards arbeiten und diese verbessern. Nach wie vor haben alle unsere Mitarbeiter wöchentlich an einer Teaminternen Weiterbildung teilgenommen und haben so ihr Fachwissen verbessert.

Vieles haben wir erreicht und einiges wünschen wir uns noch zu Weihnachten. Eine weitere Solaranlage würde uns helfen, die vielen Stromausfälle überbrücken zu können. Auch unser Wasserbohrloch braucht noch ungefähr 2000 Franken, bis es wieder ganz repariert ist. Unser Auto, das seit 4 Monaten immer noch in der Garage steht, braucht einen grösseren Batzen, bis es fertig repariert ist. Aus diesen Gründen habe ich dieses Jahr keine Weihnachts- Aktion gestartet. Wir sind dankbar, wenn die eine oder andere Person uns einen Zustupf zur Verwirklichung unserer Weihnachtswünsche für die Dispensary geben wird.

In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch ein grosses Dankeschön aussprechen. Im November haben wir per Post einen Spendenaufruf gestartet. Die Reaktion darauf war für mich gewaltig. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Leute darauf reagieren würden und sich mit einer Spende an uns erinnern. Darum sage ich von Herzen ein grosses Dankeschön und ein Vergelt‘s-Gott. Manchmal wünschte ich, ich könnte sie liebe Interessenten für ein paar Stunden einfliegen lassen und sie würden die dankbaren Augen von den Menschen sehen, die dank ihrer Hilfe Heilung oder Linderung ihrer Krankheiten erfahren haben. Ich wünschte mir, sie könnten es miterleben, wenn unser Team vor Freude jauchzt und tanzt, wenn ich ihnen ein neues medizinisches Gerät oder kleine Geschenke wie Kugelschreiber mitbringe. Ich fühle mich privilegiert, dass ich all das erleben darf und dass ich die Möglichkeit habe, diese erfüllende Arbeit zu machen. Ich hoffe, ihnen in meinen Newsletter diese bewegenden Momente immer wieder ein wenig weitergeben zu können.

Einmal mehr ein herzliches «Mungu awabariki», Vergelt’s-Gott aus Tansania von mir und dem gesamten Maisha Mema Team.